Die ersten ersteigerten Auktionen der "ungewöhnlichen Gegebenheiten" werden eingelöst und führen zu zufriedenen Gesichtern und schönen Geschichten.
Eine solche Geschichte haben wir von Familie Buscher erhalten, die mit dem Wanderschäfer Svenson unterwegs war:
„Komm, Alter, komm!“
Begleitet von gellenden Pfiffen durch die Finger hallt dieser Ruf über die saftigen Vorgebirgswiesen zwischen Schloss Seelach und dem Wald rund um die Bußackerhütte. Wer kann gemeint sein?
Eine stattliche Herde von weiblichen Schafen mit ihren etwa drei Monate alten Lämmern hebt die Köpfe und bewegt sich zögerlich auf ihren Hirten zu.
Sven-Jörg Svensson, für seine Freunde einfach nur „Sven“, hat mit acht Jahren das erste Mal eine Herde beaufsichtigt. Schon sein Vater hatte diesen Beruf ausgeübt und entzog sich nach dem Zweiten Weltkrieg einer (möglichen) weiteren Kriegsgefangenschaft, indem er im Elsass bei einem Wanderschäfer anheuerte, der mit seiner Herde bis ins Pariser Becken hinein unterwegs war. Familie Svensson, die eigentlich aus Norddeutschland stammte, blieb bis 1978 im sinnenfrohen und gastfreundlichen Elsass, bevor der Vater im Badischen eine eigene Herde aufbaute, bei der Sven auch seine Schäferausbildung absolvierte. Zum schulischen Blockunterricht musste er ins Schwäbische, was damals beinahe eine größere Herausforderung darstellte als der Besuch im benachbarten Elsass. Nach Lehr- und Wanderjahren übernahm er schließlich die väterliche Herde und schafft es bis heute, die ursprünglich sehr verstreut liegenden Weidegründe für ein lokales Wanderschäfertum geschickt zu nutzen: Dabei bewegt er sich auf oft selbst gepachteten Weiden, die meist an die Wiesen von Auftraggebern anschließen. Durch diese geschickte „Routenführung“ kann er – den Vorzügen der Jahreszeiten folgend – weite Kreise um Baden-Baden ziehen und häufige Straßenüberquerungen oder gar Viehtransporte vermeiden. Falls dann doch mal nötig, sind Straßenüberquerungen seltene, aber dafür spektakuläre Aktionen, für deren Teilnahme sich selbsternannte „Laienschäfer“ und Schafliebhaber gerne bewerben.
Die Zunft der Schäfer leistet mit ihren Tieren einen wichtigen Beitrag zu Landschaftspflege. Ein „Freihalten“ der rieseigen Wiesenflächen – nicht nur rund um die Kurstadt – wäre ansonsten nur mit großem Aufwand und weniger ökologisch möglich. Daneben produziert Sven natürlich auch Fleisch und Wolle. Die dazu notwendigen Schlachtungen nimmt er selbst vor – mit gehörigem Respekt vor dem Leben eines jeden einzelnen Individuums seiner Schafe. Er achtet auf ein möglichst humanes Prozedere und garantiert die vollständige Verwertung der Tierkörper. Sven betreibt Direktvermarktung, liefert aber auch an die Geroldsauer Mühle, wo ein Großteil des Fleisches seine Abnehmer findet. „Sorgenschafe“, das heißt solche, die als Lämmer schon einer größeren Pflege bedurften und deshalb einen individuellen Namen tragen, schlachtet Sven nicht. Das brächte er nicht übers Herz. Ohne Schlachtung geht es aber auch nicht, weil eine Herde nur wenige Böcke erträgt. Eine unkontrolliert wachsende Herde wird leicht von Krankheiten befallen und alle Tiere litten dann darunter. Außerdem käme es zu ständigen Rivalitätskämpfen, die das friedliche Zusammenleben der Herde störten.
Daher werden die wenigen erwachsenen Böcke, die es zur Weiterzucht braucht, abseits der Herde auf einer Weide gehalten; momentan zum Beispiel am Schafberg – gewissermaßen in Sichtweite und gleich gegenüber. Nur zur Paarungszeit werden sie zu den brunftigen Schafen gelassen. Die Böcke so ganz unter sich, ohne das Gerangel um die Schafe, kommen ganz friedlich miteinander aus…
Ein traditioneller Höhepunkt der Fleischvermarktung sind natürlich die Osterfeierlichkeiten – sowohl der katholischen, protestantischen aber in Baden- Baden auch der orthodoxen Christen, die in der Regel später Ostern feiern. Dadurch entzerrt sich die Metzger-Arbeit ein wenig, die er einerseits nicht gerne tut, andererseits aber auch nicht den Großbetrieben überlassen will, die im Akkord arbeiten. Aus Gründen des Tierwohls, aber auch der Wirtschaftlichkeit.
Anders sieht dies bei der Schafschur aus. Diese beherrsche er zwar auch, aber er brauche „bestimmt dreißig Minuten für ein Schaf“ und habe danach Rückenschmerzen.
Daher rücken im Juni – vor der heißesten Zeit des Jahres – drei erfahrene und spezialisierte Schafscherer an, welche mit den geeigneten Gerätschaften ein Schaf in etwa einer Minute von rund 1,5 bis 2 Kilogramm Wolle befreien. Vom Schäferleben kommt er nicht los. Zwar plant Sven für die Zukunft auch weitere Reisen, aber dazu muss er seine Herde erst in gute Hände abgeben. Dafür glaubt er in seiner neuen Teilhaberin, Leona Sakowski, die Richtige gefunden zu haben. Sie ist bereits Schäfermeisterin und eignet sich gerade mit Svens Hilfe die spezifischen Anforderungen an die Wanderschäferei in unserer Gegend an.
Eigentlich hatte sich Sven gewünscht, seine Tochter würde eines Tages die Herde übernehmen, aber die hat nun ausgerechnet während ihres Wanderjahrs im Schwäbischen den Mann fürs Leben und mit ihm eine eigene Herde gefunden. Und Svens Schwester hat sich schon vor Jahren mit einer solchen selbständig gemacht. Sven nimmt es gelassen – auch, dass es viele Witze über seinen Berufsstand gibt: „Warum steht der Schäfer immer im Schatten? – Weil er zu faul ist, den Schatten mit sich herumzutragen“. Das Laufen übernehmen dafür die beiden Hütehunde Stella, ein Altdeutscher Hütehund, und Happy, ein wuscheliger Schwarzpelz, der so gar nicht respekteinflößend wirkt. „Sie hat auch noch nicht ausgelernt“, meint Sven, „und wird von der Herde deshalb noch nicht so richtig akzeptiert, weil sie zu verspielt ist“. Dafür rast Stella aber sofort los, wenn der Hirte ein Zeichen gibt, und verschafft sich mit wenigen Sätzen und angedeuteten Bissen schnell den Respekt ausbüchsender Schafe. Während der Pausen zeigt „die Chefin“, wie Sven sie liebevoll nennt, aber auch ganz andere Seiten: Sie ist sehr begierig, Streicheleinheiten zu erhalten.
Der „halbe Tag mit dem Schäfer Sven-Jörg Svensson und seiner Herde“, den das meistbietende Ehepaar bei der „Auktion besonderer Gelegenheiten“ der Bürgerstiftung Baden-Baden ersteigert hatte, neigt sich dem Ende zu. Es gäbe noch so viele Fragen, und man vereinbart, in Kontakt zu bleiben. Dankeschön, lieber Sven Svenson, dass Sie sozusagen das Erbe der Menschheit am Leben erhalten und uns die Freude gemacht haben, einen Einblick in Ihre Arbeitswelt nehmen zu dürfen! Monika und Marduk Buscher
Folgen Sie uns und freuen Sie sich auf die kommenden Wochen, wenn wir unsere Auktionsgewinner*innen dokumentarisch begleiten können, um Einblicke in unsere „ungewöhnliche Gelegenheiten“ zu erhalten.